Monfort - Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs von Alois Niederstätter
Marcus Junkelmann: „Sie allein können Bayern retten!“
Carl Ernst von Gravenreuth.
Eine Karriere zwischen Napoleon und Montgelas
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2022
732 S., zahlr. Abb.
ISBN 978-3-7917-3043-1
€ 49,95
Carl Ernst Freiherr (seit 1825 Graf) von Gravenreuth ist in Vorarlberg wohl nur einem sehr kleinen Kreis historisch Interessierter als jener bayerische Generalkommissär bekannt, der 1807 mit dem sogenannten „Weiberaufstand von Krumbach“ konfrontiert war und dem die Vorarlberger Stände noch im selben Jahr an der Bregenzer Klause ein Denkmal (die Gloriette „Gravenreuthsruh“) errichteten. Marcus Junkelmanns jüngst erschienene Biographie zeichnet nun auf der Grundlage ebenso umfangreicher wie intensiver Quellen- und Literaturstudien Leben und Wirken jenes Mannes nach, der als junger Diplomat wesentlichen an Bayerns fulminanten Aufstieg – freilich von Napoleons Gnaden – Anteil hatte und zum größten Konkurrenten seines Vorgesetzten und vormaligen Mentors Maximilian von Montgelas wurde.
Wie dieser war der aus altem fränkischen Adel stammende, als Sohn eines in französischen Diensten stehenden Offiziers am 28. März 1771 lothringischen Stenay geborene Carl Ernst von Gravenreuth ein Mann der Aufklärung. Von den Revolutionskriegen zum Emigranten gemacht, wuchs er am Hof Kars II. August von Zweibrücken auf, besuchte die Universität Göttingen, trat danach zunächst in den Pfalz-Zweibrücker Dienst sowie in weiterer Folge in den Maximilian Josephs, mit dem die Wittelsbacher der Linie Pfalz-Birkenfeld 1799 die Herrschaft in Bayern übernahmen. Noch am Ende dieses Jahres begann Gravenreuths diplomatische Karriere zunächst als Legationsrat bei der bayerischen Gesandtschaft in Wien, die er alsbald als Gesandter übernahm. „Nachdem er die entscheidungstragenden Kreise in Wien zur Genüge kennengelernt hatte“ (S. 160), drängte er 1805 nachdrücklich zu einem Bündnis mit Frankreich, das Österreich freilich so lange wie möglich verborgen bleiben musste. Als „Bevollmächtigter bei der Armee“ gelang es ihm, die bayerischen Truppen zu sammeln und dem Zugriff der Österreicher zu entziehen. Nach der Schlacht bei Austerlitz war Gravenreuth maßgeblich am Zustandekommen des Vertrags von Brünn (Dezember 1805) beteiligt, der die Erhebung des bayerischen Kurfürsten Maximilian Joseph zum König sowie beträchtliche Gebietsgewinne – darunter Tirol und Vorarlberg – zur Folge hatte.
In den folgenden beiden Jahren wirkte er als Sonderbeauftragter am Hof Napoleons. 1807 endete seine diplomatische
Laufbahn mit der Versetzung in den administrativen Dienst. Gründe dafür waren der nicht unberechtigte Vorwurf, sich
gegenüber seinem Vorgesetzten, dem Staatsminister Montgelas, illoyal verhalten zu haben, die Feindschaft Talleyrands einer- und „sein allzu enges Verhältnis“ (S. 406) zu Napoleon andererseits. Obwohl er diese Veränderung, die er einzig Montgelas Intrigen zuschrieb (wie Gravenreuths im Anhang abgedrucktes „Mémoire“ zu erkennen gibt), nie verwinden konnte, war sie ihm nicht gänzlich unwillkommen, hatte er sich doch kurz zuvor mit Eleonore von Zweybrücken-Forbach aus einem morganatischen Seitenzweig des Hauses Wittelsbach verehelicht. Von 1807 an wirkte Gravenreuth als Generalkommissär der Provinz Schwaben mit Sitz in Ulm, der auch Vorarlberg zugeschlagen wurde. In dieser Funktion hatte er mit dem bereits eingangs erwähnten „Weiberaufstand von Krumbach“ und der – höchst maßvollen – Bestrafung der Beteiligten zu tun, ebenso mit der 1808 erfolgten Auflösung der Vorarlberger Stände anlässlich der Einführung der fortschrittlichen bayerischen Verfassung. Seine Tätigkeit als oberster Administrator der Provinz Schwaben währte (mit neuen Dienstorten in Eichstädt und Augsburg) bis zu seinem Tod am 29. September 1826.
Dank des reichen, in vielen Auszügen wiedergegebenen Quellenmaterials, der enormen Sachkenntnis des Autors,
nicht zuletzt aber aufgrund seines Einfühlungsvermögens gelingt der permanente Perspektivenwechsel „zwischen dem
persönlichen und familiären Mikrokosmos des Individuums und dem weiten Feld der großen Geschichte“ (S. XXII) bestens. Wer das Buch zu Hand nimmt, lernt einen ungemein begabten, energisch zupackenden, von sich und seiner Berufung überzeugten, gleichzeitig aber dem „Staatswohl“ und seinem König – trotz gelegentlich unverhohlen geäußerter Kritik – bedingungslos ergebenen Mann kennen, der in den wenigen, aber umso turbulenteren Jahren seines diplomatischen Wirkens tatsächlich die europäische Politik mitbestimmte. Zum anderen betten zahlreiche familien- und dynastiegeschichtliche, biographische sowie allgemeinhistorische Einschübe und Exkurse Gravenreuths Lebensspanne in den großen zeitgenössischen Kontext ein.
Die große Zahl sorgfältig ausgewählter Abbildungen – darunter die eines heute verschollenen bemalten Glaspokals
zur Erinnerung an die Errichtung des Gravenreuth-Denkmals an der Bregenzer Klause (S. 483) – und die gleichermaßen hochwertige graphische Gestaltung runden das Lesevergnügen ab. Marcus Junkelmann und dem Verlag Friedrich
Pustet in Regensburg ist eine großer Wurf gelungen!