Aichacher Nachrichten: „Carl Ernst von Gravenreuth, Sie allein können Bayern retten“

Donnerstag, 05. Oktober 2023 LAND LECHRAIN: Von Martin Golling

„Carl Ernst von Gravenreuth, Sie allein können Bayern retten“

Dieser Ausspruch stammt vom späteren bayerischen König Max Joseph.

Auf 760 Seiten hat Historiker Marcus Junkelmann (links) das Leben von Carl Ernst von Gravenreuth nachgezeichnet. Der ist ein Vorfahre von Marian von Gravenreuth (ganz rechts). Foto: Christian Lichtenstern (Archivbild)

Affing

Wenn wir in Deutschland oder Europa momentan von einer wirtschaftlich und politisch schwierigen Situation sprechen, dann lohnt sich ein Blick in die Geschichte und viele Probleme relativieren sich: Am Ende des 18. Jahrhunderts stöhnte die Bevölkerung Europas unter einer unglaublichen Abgabenlast. Die Kirche verlangte den Zehnten, die Politik Steuern in Höhe von einem Prozent des Vermögenswertes.
Weitere Abgaben brachten die Stimmung zum Brodeln, bis 1789 die Französische Revolution losbrach. Mut zur Rebellion hatten die unterdrückten Untertanen aus dem erfolgreich geführten amerikanischen Unabhängigkeitskrieg geschöpft. Mit diesem Schwenk in jene Zeit stimmte der Historiker Markus Nadler die Zuhörer im ausverkauften Affinger Pfarrheim ein auf die Besprechung des Buches über Carl Ernst von Gravenreuth (1771-1826)

„Sie allein können Bayern retten!“.

Das Team des Bücherstüberls hatte geladen, und Carmen Schwarzmüller konnte neben Markus Nadler, Marian Freiherr von Gravenreuth, den Initiator des Buches, und mit Marcus Junkelmann dessen Autor begrüßen.
Warum initiierte der Affinger Schlossherr und Nachfahre von Carl Ernst von Gravenreuth dieses Buch?

„Ich hatte immer im Hinterkopf, dass dieser Carl Ernst diesen Besitz aus dem Nichts geschaffen hat. Die Familie hatte in der Französischen Revolution alles verloren, war geflohen, das mitgeführte Vermögen war der verwitweten Mutter von sieben Kindern gestohlen worden. Und in mir brannte ein Gefühl von Empörung darüber, dass man diesen Mann aus der bayerischen Geschichte quasi ausradiert hat. Das war mein Motiv“,

bekannte Marian von Gravenreuth.
Marcus Junkelmann konnte bei seinen Recherchen zum Buch aus einem reichlich bestückten Archiv derer von Gravenreuth Informationen schöpfen. Im Original erhaltene Briefe beweisen, wie sehr Carl Ernst von Gravenreuth für die Sache Bayerns, für eine gerechte Staatsordnung und für eine gebildete Bevölkerung brannte. Während das österreichische Heer bis nach Ulm vorstieß, lag der emotional und nervlich schnell überforderte spätere König Max Joseph krank im Bett, und ebenso sein viel gerühmter Superminister Montgelas. Von Gravenreuth, damals schon
Minister, war es, der im letzten Augenblick die verstreut liegenden bayerischen Heeresteile in Gewaltmärschen aus der Hauptstoßrichtung der fremden Streitkräfte rechtzeitig in die Oberpfalz führte und dort einquartierte, bis sein Schulfreund Napoleon Bonaparte die Österreicher wieder vertrieben hatte. Der Bogenhausener Vertrag, der das Eingreifen Napoleons im Falle eines Angriffs festschrieb, ging ebenfalls auf die Initiative Carl Ernsts zurück. Weitere Briefe an Max Joseph und an Montgelas zeigen, dass Carl Ernst von Gravenreuth offensichtlich allein die neue
politische Konstellation nach der Schlacht bei Austerlitz (3. Dezember 1805) richtig einzuschätzen wusste. Mit scharfen Worten, kraftvoll und hochemotional mahnt er „eine Ausbeutung des Sieges“ an und nimmt dabei weder vor seinem Ministerkollegen Montgelas noch vor Max Joseph ein Blatt vor den Mund. Schließlich gelingt es Carl Ernst doch, bei den Gebietsverhandlungen das Gesicht des heutigen Bayerns zu formen.
Marcus Junkelmann:

„Mit seinem forschen Auftreten hat Carl Ernst von Gravenreuth Montgelas verärgert. Hier beginnt das Zerwürfnis zwischen den beiden ehemaligen Freunden.“

Die Folge: Von Gravenreuth wird vom diplomatischen Außendienst in den verwaltungstechnischen Innendienst versetzt. Doch auch hier beweist er zum Beispiel mit Gründung der Stadt Neu-Ulm (7. April 1811) Weitsicht. Menschliche Größe zeigt er beim Frauenaufstand in Vorarlberg. Dort hatten sich die Frauen über die Einberufungsbescheide für ihre Männer und ihre Söhne entrüstet. Die Justiz in Memmingen wollte harte Zeichen setzen, von Gravenreuth jedoch sprach sich erfolgreich für eine Begnadigung aller Frauen aus. Für Marian von Gravenreuth zieht sich diese aufklärerische Linie durch:

„Die Familie kommt nach Affing und entfaltet hier sofort Engagement, stiftet eine Volksschule. Es ist dieser aufklärerische Gedanke, die Gesellschaft wachse mit ihrer Bildung.“

Der Freiherr berichtete, dass sich die Frau von Carl Ernst, Eleonore, hier in den ersten Jahren fühlte

„wie in einem Vogelhäuschen auf einer Sumpfwiese“.

Der Affinger Schlossherr ergänzt:

„Dennoch machte sie sich sofort daran, die Sumpfwiese in einen herrlichen Garten umzuwandeln.“

Der Augsburger Bürgermeister Anton Barth bescheinigte Carl Ernst von Gravenreuth, dem ersten Ehrenbürger Augsburgs,

„eine sichere Hand, eine große Humanität und tiefe Welt- und Menschensicht“.

Und dies, um es aus heutiger Sicht zu betrachten, in einer Zeit voller Kriege, Gewalt, Plünderungen und Hungersnöten. Umso mehr kann man Marian von Gravenreuth verstehen, wenn er frustriert beklagt, dass es weder in München noch in Augsburg eine Carl-Ernst-von Gravenreuth-Straße gibt. Obwohl doch der spätere König Max I. Joseph seinerzeit – beileibe nicht umsonst – gerufen hatte:

„Carl Ernst von Gravenreuth, Sie allein können Bayern retten!“

Info: Marcus Junkelmann, Carl Ernst von Gravenreuth. „Sie allein können Bayern
retten!“, Eine Karriere zwischen Napoleon und Montgelas, Verlag Friedrich Pustet,
Regensburg 2022 ISBN 978-3-7917-3043-1.